Wann die Arbeitszeit per Fingerabdruck erfasst werden darf

(verpd) Ein Fingerprint-System darf nicht ohne die Zustimmung der Beschäftigten eingeführt werden. So entschied das Arbeitsgericht Berlin Mitte in einem Gerichtsverfahren (Az.: 29 Ca 5451/19).

Bei einem Arbeitnehmer wurden dessen Arbeitszeiten mehr als ein Jahrzehnt lang durch handschriftliche Einträge in einer Liste erfasst. Diese Liste wurde von ihm selbst geführt. Eine Kontrolle der eingetragenen Zeiten durch den Arbeitgeber fand nicht statt. Ende Juli 2018 teilte der Arbeitgeber der gesamten Belegschaft des Unternehmens mit, dass die Arbeitszeit künftig nur noch mittels Fingerprint durch ein neuartiges Zeiterfassungssystem ermittelt werden dürfe.

Hierbei sollte für eine An- und Abmeldung eines Mitarbeiters sein Fingerabdruck mit den gespeicherten Daten im Programm abgeglichen werden. Die bisherigen schriftlichen Aufzeichnungen würden nicht mehr anerkannt. Der Arbeitnehmer sah in der Einführung des neuen Verfahrens einen Verstoß gegen das Bundesdatenschutz-Gesetz (BDSG). Die Nutzung setze nämlich eine schriftliche Einwilligung der Betroffenen voraus. Die habe er nicht erteilt. Er weigerte sich daher, an dem Verfahren teilzunehmen. Das Unternehmen mahnte ihn daraufhin mehrfach erfolglos ab.

Die Grenzen für die Erfassung biometrischer Daten

Der Arbeitnehmer reichte schließlich Klage beim Berliner Arbeitsgericht ein. Darin forderte er, die Abmahnungen aus seiner Personalakte zu entfernen. Mit Erfolg. Die Richter gaben seiner Klage statt. So sei eine digitale Zeiterfassung mittels Fingerprint zwar dazu geeignet zu verhindern, dass Beschäftigte für Kollegen „mitstempeln“ und so Arbeitszeitbetrug begehen. Bei dem Verfahren handele es sich jedoch datenschutzrechtlich um die Erfassung biometrischer Daten im Sinne von Paragraf 26 Absatz 3 BDSG.

Eine Verarbeitung solcher Daten könne jedoch die Privatsphäre von Mitarbeitern und somit ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung in besonderem Maße verletzen. Sie sei daher abgesehen von wenigen Ausnahmen grundsätzlich verboten. Arbeitsrechtlich relevant seien die Erlaubnistatbestände „Erforderlichkeit“, „freiwillige Einwilligung“ sowie „Kollektivvereinbarung“. Keiner dieser Tatbestände sei im Fall des Klägers erfüllt.

Die Erhebung und Verwendung von biometrischen Merkmalen müsse vielmehr im Rahmen einer dreistufigen Prüfung folgende Voraussetzungen erfüllen, wie das Gericht betont:

  1. Das biometrische Verfahren muss für die Zwecke des Beschäftigungs-Verhältnisses geeignet sein, das heißt, der jeweils auf das Beschäftigungs-Verhältnis bezogene Zweck muss tatsächlich gefördert werden können.
  2. Es darf kein anderes, gleich wirksames, das Persönlichkeitsrecht weniger beeinträchtigendes Mittel existieren.
  3. Als Ergebnis einer umfassenden Abwägung der schutzwürdigen Interessen und Grundrechte des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers muss die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Beschäftigten durch das biometrische Verfahren in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Zweck der Datenverwendung stehen.

Fehlende Notwendigkeit für Fingerprint-System

Je intensiver in das Persönlichkeitsrecht eingegriffen werde, desto schwerer müsse der von dem Arbeitgeber mit dem Verfahren verfolgte konkrete Zweck wiegen. So werde etwa sein Interesse an einer biometrischen Zugangskontrolle zu Bereichen mit sensiblen Geschäfts-, Produktions- und Entwicklungs-Geheimissen eher mehr überwiegen als bei einer Zugangssicherung zu normalen Bürobereichen.

Biometrische Daten könnten daher unter Erfüllung oben genannter Voraussetzungen gegebenenfalls zwar zur Kontrolle beim Eintritt in Sicherheitsbereiche, nicht jedoch im Rahmen der Arbeitszeiterfassung verwendet werden. In dem entschiedenen Fall sahen die Richter keine Notwendigkeit für die Erfassung der Arbeitszeiten durch ein Fingerprintverfahren. Der Kläger sei in der Vergangenheit nicht durch Falschangaben bezüglich seiner Arbeitszeit negativ aufgefallen.

Unabhängig davon müsse in der Regel davon ausgegangen werden, dass sich die überwiegende Anzahl von Beschäftigten rechtstreu verhalte und ihren Arbeitgeber bei der Arbeitszeiterfassung nicht betrüge. Der Mann sei daher nicht dazu verpflichtet, das neue System zu nutzen. Die Abmahnungen müssten folglich aus seiner Personalakte entfernt werden.

Kostenschutz bei Streitigkeiten mit dem Arbeitgeber

Der Fall zeigt: Wenn sich ein Arbeitnehmer ungerecht behandelt fühlt, kann es durchaus sinnvoll sein, die Angelegenheit rechtlich prüfen zu lassen und notfalls gegen den Arbeitgeber zu klagen.

Allerdings geht ein Arbeitnehmer hier ein Kostenrisiko ein, denn in der ersten Instanz vor einem Arbeitsgericht muss ein Arbeitnehmer, egal ob er den Rechtsstreit gewinnt oder verliert, seine Anwaltskosten selbst tragen. Kostenschutz bietet jedoch eine Privat- und Berufsrechtsschutz-Versicherung.

Eine solche Police übernimmt nämlich im Versicherungsfall die Prozess- inklusive Anwaltskosten für derartige, aber auch für zahlreiche andere Streitigkeiten für den Arbeitnehmer, wenn der Rechtsschutzversicherer vorab eine Deckungszusage erteilt hat.


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